Ursachen Spezifischer Störungen im Lesen und Rechtschreiben
Verlässlich lesen lernen
Im Fokus steht die Identifizierung neurobiologischer Grundlagen und neurokognitiver Profile bei Kindern mit isolierten Störungen des Lesens und des Rechtschreibens.
Zusammenfassung
Theoretischer Hintergrund:
Die Lese-Rechtschreibstörung stellt eine der häufigsten Entwicklungsstörungen des Kindes- und Jugendalters dar. Zahlreiche Studien zur Untersuchung der kognitiven Kerndefizite und der neurobiologischen Grundlagen der Lese- und Rechtschreibstörung haben zu einem besseren Verständnis dieser Lernstörung geführt. In der Regel gehen diese Studien davon aus, dass Defizite im Lesen und Defizite im Rechtschreiben ein- und dasselbe Störungsbild darstellen. Aktuelle Befunde zeigen jedoch, dass Defizite im Lesen und Defizite im Rechtschreiben auch unabhängig voneinander auftreten können und mit jeweils unterschiedlichen kognitiven Defiziten assoziiert sind. Diese Befunde weisen auf unterschiedliche Ätiologien der beiden Störungen hin.
Ziele:
Ziel des vorliegenden Forschungsprojekts war es, diese Unterschiede durch Analysen der Wortverarbeitung weiter zu spezifizieren.
Mittels geeigneter Methoden [Analyse der Blickbewegungen, EEG- und (f)MRT-Paradigmen] wurden die kognitiven Profile und neurobiologischen Korrelate erfasst, welche die auf der Verhaltensebene beobachteten Dissoziationen von Lese- und Rechtschreibstörungen erklären.
Das Projekt ermöglicht ein besseres Verständnis der kognitiven Mechanismen, die isolierten Störungen des Lesens und isolierten Störungen des Rechtschreibens zugrunde liegen. Die Ergebnisse dieses Projektes sind nicht nur für die Weiterentwicklung von Modellen im Bereich der Schriftsprachstörungen von Bedeutung, sondern haben darüber hinaus auch wesentliche Implikationen für die Diagnostik und Therapie. Die Identifizierung kognitiver Profile und ein differenziertes Verständnis der zugrundeliegenden neurobiologischen Mechanismen isolierter Störungen des Lesens und isolierter Störungen des Rechtschreibens bilden die Grundlage für die Entwicklung spezifischer Förderansätze.
Methode:
Das Vorhaben wurde als bilaterales Forschungsprojekt konzipiert (DACH-Projekt), um Synergieeffekte zu erzielen. Die Erhebung an zwei Standorten war Voraussetzung für den Erfolg des Projektes. Dies gewährleistete die Rekrutierung einer ausreichend großen Stichprobe und ermöglichte die Analyse auf drei verschiedenen Beobachtungsebenen (Verhaltens-, Kognitions-und Gehirnebene) aufgrund der unterschiedlichen Expertisen, die von Seiten der AntragstellerInnen in das Projekt eingebracht wurden. Die beiden neurobiologischen Methoden [(f)MRI und ERP] wurden entsprechend der Expertise der Antragsteller:innen auf die zwei Standorte aufgeteilt, so dass die (f)MRI-Daten in Graz und die ERP-Daten in München erhoben wurden. Die Verhaltens- und kognitiven Maße (inkl. Blickbewegungsexperiment) wurden von beiden Partner:innen erhoben, sodass diese mit den neurobiologischen Korrelaten spezifischer Defizitgruppen assoziiert werden konnten.
In einer ersten Screeningphase wurden anhand von Klassentests zur Erhebung der Lese- und Rechtschreibleistung Ende der 3. Schulstufe bzw. Anfang der 4. Schulstufe vier Gruppen selektiert: isolierte Rechtschreibschwäche trotz altersgemäßer Leseentwicklung, isolierte Leseschwäche trotz altersgemäßer Rechtschreibkompetenz, kombinierte Lese- und Rechtschreibschwäche und eine Kontrollgruppe mit altersentsprechender Leistung im Lesen und Rechtschreiben. Diese vier spezifisch ausgewählten Gruppen (N=80 pro Standort) nahmen an drei individuell durchgeführten Testungen teil, die der Erhebung der kognitiven Profile und neurobiologischen Korrelate dienten, die mit isolierten Lese-, isolierten Rechtschreib- und kombinierten Lese- und Rechtschreibstörungen assoziiert sind. Im Vordergrund stand bei diesen Erhebungen die Untersuchung lexikalischer und sublexikalischer Prozesse bei der Worterkennung.
Kooperationspartnerin: Dr. Kristina Moll, Ludwig-Maximilians-Universität München
Projektgeber: FWF & Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 01.04.2015 - 31.03.2018
Publikationen:
Banfi, C., Koschutnig, K., Moll, K., Schulte-Körne, G., Fink, A., & Landerl, K. (2021). Reading-related functional activity in children with isolated spelling deficits and dyslexia. Language, Cognition and Neuroscience, 36(5), 543-651. https://doi.org/10.1080/23273798.2020.1859569
Moll, K., Gangl, M., Banfi, C., Schulte-Körne, G., & Landerl, K. (2020). Stability of deficits in reading fluency and/or spelling. Scientific Studies of Reading, 24(3), 241-251. https://doi.org/10.1080/10888438.2019.1659277
Banfi, C., Koschutnig, K., Moll, K., Schulte-Körne, G., Fink, A., & Landerl, K. (2019). White matter alterations and tract lateralization in children with dyslexia and isolated spelling deficits. Human Brain Mapping, 40(3), 765–776. https://doi.org/10.1002/hbm.24410
Mehlhase, H., Bakos, S., Landerl, K., Schulte-Körne, G., & Moll, K. (2019). Orthographic learning in children with isolated and combined reading and spelling deficits. Child Neuropsychology, 25(3), 370-393. https://doi.org/10.1080/09297049.2018.1470611
Moll, K., Landerl, K., Snowling, M.J., & Schulte-Körne, G. (2019). Understanding comorbidity of learning disorders: Task-dependent estimates of prevalence. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 60(3), 286-294. https://doi.org/10.1111/jcpp.12965
Bakos, S., Landerl, K., Bartling, J., Schulte-Körne, G., & Moll, K. (2018). Neurophysiological correlates of word processing deficits in isolated reading and isolated spelling disorders. Clinical Neurophysiology, 129(3), 526-540. https://doi.org/10.1016/j.clinph.2017.12.010
Banfi, C., Kemény, F., Gangl, M., Schulte-Körne, G., Moll, K., & Landerl, K. (2018). Visual attention span performance in German-speaking children with differential reading and spelling profiles : No evidence of group differences. PLoS ONE, 13, e0198903. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0198903
Gangl, M., Moll, K., Banfi, C., Huber, S., Schulte-Körne, G., & Landerl, K. (2018). Reading strategies of good and poor readers of German with different spelling abilities. Journal of Experimental Child Psychology, 174, 150–169. https://doi.org/10.1016/j.jecp.2018.05.012
Gangl, M., Moll, K., Jones, M. W., Banfi, C., Schulte-Körne, G., & Landerl, K. (2018). Lexical reading in dysfluent readers of German. Scientific Studies of Reading, 22(1), 24–40. https://doi.org/10.1080/10888438.2017.1339709
Kemény, F., Banfi, C., Gangl, M., Perchtold, C. M., Papousek, I., Moll, K., & Landerl, K. (2018). Print-, sublexical and lexical processing in children with reading and/or spelling deficits: An ERP study. International Journal of Psychophysiology, 130, 53–62. https://doi.org/10.1016/j.ijpsycho.2018.05.009
Kemény, F., Gangl, M., Banfi, C., Bakos, S., Perchtold, C. M., Papousek, I., Moll, K., & Landerl, K. (2018). Deficient letter-speech sound integration is associated with deficits in reading but not spelling. Frontiers in Human Neuroscience, 12, e449. https://www.frontiersin.org/article/10.3389/fnhum.2018.00449
Banfi, C., Kemény, F., Gangl, M., Schulte-Körne, G., Moll, K., & Landerl, K. (2017). Visuo-spatial cueing in children with differential reading and spelling profiles. PLoS ONE, 12, e0180358. https://doi.org/10.5061/dryad.863r3
Landerl, K. & Banfi, C. (2017). Dyslexia intervention – What can we learn from neuroscience? Commentary on Bédard, Laplante, and Mercier (2016). Zeitschrift für Psychologie, 224(4), 303-304. https://doi.org/10.1027/2151-2604/a000268